Entfant terrible im Nonnenbunker

Schwester Corda,langjährige Leiterin der Liebfrauenschule,wird 90 Jahre alt. Die Ordensfrau hat ganze Generationen junger Kölnerinnen geprägt- mit einer von ihnen,OB Henriette Reker,haben wir sie zum Gespräch getroffen

 

Frau Reker, wie fühlt sich das an? Mal wieder an Ihrer alten Schule – mit Ihrer alten Schulleiterin?

Henriette Reker: Es ist nicht so, dass ich noch den Geruch in der Nase hätte oder so. Dafür war ich vielleicht nicht lange genug hier. Ich bin ja erst zur reformierten Oberstufe hier auf die Liebfrauenschule gewechselt. Mein Vater wollte erst gar nicht, dass ich zum Gymnasium gehe. Aber ich hatte so gute Noten…

Schwester Corda: … bis heute, Frau Reker.

R …Aber nur, wenn Sie mir das Zeugnis ausstellen, Schwester Corda! Und sagen Sie doch bitte „Henriette“ zu mir, so wie früher.

 

Sie haben einmal gesagt, Schwester Corda sei für Sie ein Vorbild gewesen. Eine Ordensfrau?

 

R Sie hatte so eine ganz eigene Art, mit uns Schülerinnen umzugehen. Klar, manchmal hart in der Sache, aber immer verbindlich im Ton. Sie hat eine Erwartungshaltung ausgeströmt, der wir wie selbstverständlich entsprochen haben. Es brauchte gar kein großes Regelwerk. Wir wussten auch so: Schwester Corda erwartet, dass wir uns anständig benehmen und pünktlich sind. Und zu meiner Zeit haben die Schülerinnen sich so verhalten. Ich habe Sie nie die Stimme erheben gehört, Schwester Corda! Daran muss ich noch heute denken, wenn ich selbst gelegentlich aufbrause.

 

Mussten Sie als Schülerin mal bei Schwester Corda antreten?

 

R Oh ja, kaum dass ich an der Schule war.

C Wirklich, Henriette? Daran kann ich mich beim besten Willen nicht erinnern.

R Ich dafür umso besser! Das war nämlich was für uns Schülerinnen, wenn eine von uns zu Ihnen gerufen wurde. Zudem hatte ich keine Ahnung, wieso. Also, das fand ich ziemlich aufregend.

 

Und was war nun der Grund?

 

R Obwohl ich evangelisch getauft und konfirmiert bin, hatten meine Eltern auf dem Anmeldebogen für die Schule bei der Frage nach der Konfession „römisch-katholisch“ angekreuzt. Natürlich ist Ihnen das ziemlich bald aufgefallen, Schwester Corda. Schon ein paar Wochen nach meinem Start riefen Sie mich zu sich ins Büro und sagten: „Henriette, du bist ja eine Protestantin!“ – „Ja, das stimmt“, sagte ich. „Macht nichts, du kannst gerne hierbleiben. Aber würdest du denn am katholischen Religionsunterricht teilnehmen?“ – „Ja, klar!“, sagte ich, ziemlich erleichtert. So bin ich durch die Liebfrauenschule zu einem richtigen konfessionellen Mischling geworden bin.

C Sag doch einfach, „eine Christin“!

 

War Ihnen klar, welchen Respekt Ihre Schülerinnen vor Ihnen hatten?

 

C Ich bin ja noch durch eine Pädagogik geprägt, für die Ordnung und Disziplin – auch geistige Disziplin – eine große Rolle spielten. Dabei war ich selbst, muss ich sagen, so etwas wie ein Enfant terrible.

R Das muss aber lange her sein, jedenfalls weit, bevor Sie Schulleiterin wurden.

C Aber auch dann hatte ich insgeheim immer viel Verständnis, wenn Schüler über die Stränge schlugen oder uns Streiche spielten. Andererseits glaubte ich gelernt zu haben, dass ein soziales Gebilde wie eine Schule nur mit Verlass aufeinander funktioniert. Und dazu gehören dann eben Ordnung und Pünktlichkeit. Nun hatte ich aber auch ein besonderes Erbe: Meine Vorgängerin, Schwester Constantia, hatte ein wirklich strenges Regiment geführt. Als ich nun hier ankam, ohne jede Erfahrung in der Schulleitung und mit einem Heidenrespekt vor dieser Schule, da stand in der ersten Lehrerkonferenz gleich ein Kollege auf und sagte, „können wir nicht endlich dieses Hosen-Verbot für die Schülerinnen abschaffen?“ Das gab es damals nämlich noch.

 

Der berühmte Kölner „Hosenkrieg“ brach gleich an Ihrem ersten Schultag aus?

 

C Ja. Ich weiß bis heute nicht, ob das eine im Kollegium verabredete Aktion war, ob der Geist des Aufbegehrens nach 68 eine Rolle spielte oder einfach nur das Gefühl einer neuen Freiheit in der Ära „nach Conni“. Mir kam sofort die alte Klosterweisheit in Sinn, „für wichtige Neuerungen mindestens zwei Jahre warten“, und hier kriegte ich so eine Frage an meinem ersten Schultag vorgelegt. Puh! Die Kunstlehrerin machte den Vorschlag einer Experimentierphase. Zwei Wochen durften die Schülerinnen in Hosen kommen. Ich habe mir das angesehen und dann entschieden, „sieht gut aus, kann bleiben!“ Damit hatte ich ganz schnell die Sympathie der Schülerinnen gewonnen. Noch im gleichen Jahr habe ich die erste Fete hier im Schulgebäude gestattet. Mit flauem Gefühl im Magen: Mein Gott, was das wohl gibt?! Aber das Lehrerkollegium trug mich. Als einmal eine Schüler-Demo vom Apostelgymnasium – ich weiß gar nicht mehr, worum es dabei ging – auf unser Gelände wollte, da standen die Lehrer am Tor und hielten die Massen zurück. Ich brauchte überhaupt nichts zu tun.

 

Mädchengymnasium neben Jungengymnasium.

 

Das hat ja schon was von Feuerzangenbowle.

R Sogar unsere Pausenzeiten waren versetzt zum Apostelgymnasium, um die Kontaktmöglichkeiten so gering wie möglich zu halten. Verstanden habe ich das nie, und getroffen haben wir uns auch so. C Das hatte rein verkehrstechnische Gründe.

R Sagen Sie!

C Doch, doch, jedenfalls zu meiner Zeit. Die KVB erklärte uns, es würde ihre Kapazitäten sprengen, wenn sie die Schülerinnen und Schüler morgens und mittags alle zur gleichen Zeit befördern müsste.

R Und warum kam dann die Öffnung: auch Jungen im „Nonnenbunker“?

C Zum einen brauchten wir einfach mehr Schüler, um das Kurssystem ans Laufen zu bringen. Zum anderen war die Koedukation für mich nie ein Problem, im Gegenteil. Angesichts des doch erklecklichen Anteils an „höheren Töchtern“ unter unseren Schülerinnen dachte ich, denen könnte es gar nicht schaden, wenn sie es mit den Jungen zu tun bekämen.

 

Was war Ihr Erziehungsideal?


C „Hausfrau und Mutter“ jedenfalls nicht. Ob bewusst oder unbewusst, wollte ich unsere Schülerinnen befähigen und ermutigen, in der Gesellschaft Position zu beziehen – mit ihren Fähigkeiten und Besonderheiten, durchaus auch im Unterschied zu den Männern.

R Mein Bild der modernen, selbstbewussten Frau verdanke ich ganz wesentlich Schwester Corda. Ich habe sie gerade als Frau in der katholischen Kirche immer vorurteilslos und frei von jeder Angst erlebt.

 

Typus aufmüpfige Nonne?

 

C Die größte Aufmüpfigkeit habe ich mir mit Kardinal Meisner geleistet. Zum 75-jährigen Bestehen der Schule 1991 hatten wir natürlich auch den Erzbischof eingeladen. Er kündigte sich dann eigens zu einem Gespräch an. Die Maßgabe vorher war: Keine heißen Eisen! Vorsicht beim Thema Frau in der Kirche! Und ja nicht über die Priesterweihe für Frauen reden! Es kam dann so: Wir feierten drüben in der Kirche Christi Auferstehung Messe mit den kleinen Schülerinnen, die noch am leichtesten zu bändigen waren. Anschließend wartete ich auf ihn, um ihn zusammen mit seinem Sekretär, Kaplan Rainer Woelki, zur Schule zu begleiten. In dem Moment fuhr einer unserer Schüler, der gerade den Unterricht schwänzte, mit seinem Fahrrad an uns vorbei. Er winkte dem Kardinal. Der grüßte zurück und fragte ihn ganz leutselig, ob er auf seinem Rad fahren dürfe. Ich dachte: „Ach, du liebe Zeit. Das geht nicht gut, das geht nicht gut! Der Kardinal mit seiner langen Soutane…! Aber lass! Soll sein Sekretär hinter ihm herlaufen und ihm vom Fahrrad helfen.“

 

Das scheint aber unfallfrei gelungen zu sein. Jedenfalls ist nichts Gegenteiliges überliefert.

 

C Später saßen wir dann ganz brav und wohlerzogen hier im Lehrerzimmer, der Kardinal mir zur Rechten. Die Lehrer erzählten von der Schule und von den Spitzenpositionen, die ehemalige Schülerinnen in unserer Gesellschaft und Politik einnahmen. Jetzt gehörst du ja auch dazu, Henriette! Wir hatten uns vorgenommen, das Thema der Stellung der Frau in der Kirche nicht anzusprechen. Aber ich spürte, wie der Kardinal unruhig wurde. Er drehte an seinem Bischofsring, und da kam es: „Aber damit eines klar ist, das Priestertum für die Frau kommt überhaupt nicht in Frage. Das ist schon in der Offenbarung so vorgesehen.“ – „Wie?“, entfuhr es mir, „in der Offenbarung?“ - Ich spürte geradezu, wie ich in Ungnade fiel. Später erfuhr ich, dass der Kardinal ein „Dossier Corda“ anlegen ließ und der damalige Leiter der Schulabteilung, Prälat Norbert Trippen, einen Bericht über diese aufmüpfige Nonne schreiben musste.

 

Haben Sie Ihren Eintritt in den Orden je bereut?


(Denkt nach) Nnnein… Vielleicht so: In der Zeit um das Zweite Vatikanische Konzil herum, als ich noch diese ganze kirchliche Enge spürte und den Eindruck hatte, es müssten noch sehr viele Schranken fallen – da habe ich schon gedacht: Ach, wenn du jetzt ein Kind dieser Welt geblieben wärst, was hättest du dann für Freiheiten! Wissen Sie, ich war musikalisch begabt, hatte eine gute Stimme und hätte mir mein Brot durchaus verdienen können. Nun hatte ich damals eine sehr großzügige, weise Provinzoberin, die meinen Freiheitsdrang auffing. Bei ihr konnte ich alle meine Bedenken äußern und mich über die alten Zöpfe beklagen, die in der Kirche abgeschnitten gehörten. Ja, und dann hieß es plötzlich: Corda, geh mal nach Köln, Schulleiterin werden!

 

Haben es Frauen als „Kinder dieser Welt“ heute leichter oder schwerer als damals?

 

R Das große Problem ist immer noch die Vereinbarkeit von Familie und Beruf, von Kindern und Karriere. Viele Frauen mit Kindern sind im Beruf nicht so verfügbar wie die Männer, die oftmals ein „Versorgungsinstitut“ zu Hause haben – in Gestalt ihrer Frauen. Ich habe nun Gott sei Dank einen Mann, der mich versorgt. Er kann zwar nicht kochen, aber immerhin kauft er erstklassig ein. Aber viele Frauen haben das eben nicht. Nun war es so, dass zu mir keine Kinder kommen wollten. Das habe ich irgendwann akzeptiert und insofern das Beste daraus gemacht, als ich mich intensiver dem Beruf widmen konnte. Nicht um Karriere zu machen – ich wollte lediglich das, was ich tat, möglichst gut machen. Frauen mit Kindern sind da ganz anders zerrissen Sie, Schwester Corda, konnten sicher auch deshalb mehr als zehn Stunden am Tag arbeiten, weil sie keine eigene Familie hatten.

C Ja, zudem hatte ich das Glück einer Kommunität hinter mir zu haben. Die Mitschwestern kochten für mich, wuschen für mich, so dass ich wirklich von morgens früh bis abends spät in meinem Dienstzimmer sitzen konnte - länger sicher als eine „normale“ Schulleiterin.

R Ich werde jetzt immer gefragt, wie viele Vorstandsposten in den Unternehmen mit städtischer Beteiligung von Frauen besetzt sind. Das sind nur einige wenige, ich weiß. Aber das liegt wahrlich nicht daran, dass keine Bewerberinnen gesucht würden. Im Gegenteil: Wir unternehmen gewaltige Anstrengungen, Frauen zu finden. Aber die trauen sich solche Positionen dann oft gar nicht zu – selbst wenn man sie anspricht. Insbesondere für die MINT-Berufe stehen Frauen nur ganz, ganz selten zur Verfügung.

 

Wird es je die Priesterinnen geben, die „in der Offenbarung nicht vorgesehen“sind?

 

C Ich nenne mal meine Mitschwestern in Brasilien. Die übernehmen in diesem weiten, weiten Land schon heute mit großer Selbstverständlichkeit priesterliche Dienste: Sie taufen, sie spenden das Sakrament der Krankensalbung, feiern die Gottesdienste. Da ist Ihre Frage faktisch schon beantwortet. Demgegenüber regt man sich hier in Köln auf, wenn Laien Wortgottesdienste mit Kommunionausteilung feiern. Ja, warum denn nicht? Wenn es das Bedürfnis gibt, dann soll das doch geschehen, mein Gott noch mal! Wo sind wir denn? In der Urkirche gab es doch auch noch keine Messe nach römischem Ritus.

R Ich erlebe und lebe die katholische Kirche ja oft genug selber mit, auch im Gottesdienst. Aber seit Professor Gerhard Herkenrath, mein früherer Religionslehrer, nicht mehr lebt, werde ich nicht mehr zum Tisch des Herrn eingeladen. Er hat immer zu mir gesagt: „Bei mir kannst du kommen.“ – „Ja, aber kann ich das machen?“, habe ich dann manches mal geantwortet. Ich kenne ja die Vorgaben des Kardinals und will ihnen nicht zuwider handeln, sondern mich an die Regeln halten.

 

Weil Sie unter besonderer Beobachtung stehen?


R Meine exponierte Position macht es mir schwer. Ich sitze ja oft vorn in der Mitte, muss dann zur Seite gehen, alle anderen vorbeilassen. Das könnte für viele so aussehen, als wollte ich nicht, als hielte ich mich mutwillig von der Mahlgemeinschaft fern. Deshalb setze ich mich auch nicht gleich wieder hin, damit es nicht so aussieht, als sei ich gelangweilt oder hätte keinen Respekt vor der Kommunion.

C Ist das nicht schlimm?

R Es fühlt sich auf jeden Fall bitter an – nicht angenommen, nicht willkommen. Ich dachte ja in dem aktuellen Streit, vielleicht lässt der Kardinal sich ja erweichen – im Dienst der Ökumene. Aber ich glaube, er will es einfach nicht. Das bekümmert mich.

C Also, die Hostie ist für mich Zeichen für die Begegnung mit Christus und mit seinen Schwestern und Brüdern. Wenn ein anderer Christ zu mir sagt, „ich möchte meinen Glauben mit dir teilen, ich möchte mit dir am Altar des Herrn beten, ich möchte jetzt und hier das heilige Brot mit dir teilen..." Da bin ich sicher, dass Christus sagt: "Komm!" Und da darf kein Mensch, kein Bischof sagen: "Stopp!"

R Und Jesus, unser Freund und Bruder, hätte sicher nichts dagegen.

 

Wie verbringen Sie Ihren 90. Geburtstag?

 

C Ich wollte eigentlich entfleuchen, dem ganzen Theater aus dem Weg gehen und meinen Mitschwestern keine Feier aufhalsen.

R Ach, darum kümmern die sich doch bestimmt gern!

C Na, ich weiß nicht. Jedenfalls haben sie mich überredet, hier zu bleiben und von elf bis eins ein paar Gäste zu erwarten: Schwestern, ehemalige Kolleginnen und Kollegen…

R … und ehemalige Schülerinnen?

C Oh! Also, wenn du Zeit hast und kommst, freue ich mich.

Das Gespräch führte Joachim Frank

Quelle: Kölner Stadtanzeiger